200 Jahre evangelisch-lutherischer Kirche in Tiflis

2017 feiern die Deutschen Georgiens zwei wichtige Jubiläen: 500 Jahre der Reformation und 200 Jahre der Ansiedlung der Deutschen aus Baden-Württemberg in Georgien. Ein Anlass der Ansiedlung war der entsprechender Erlass des russischen General Ermolow der die Deutschen in das damalige Russische Imperium eingeladen hat. Der größte Teil der Siedler waren sogenannte Separatisten, die sich von der lutherischen Kirche abtrennten. Sie glaubten an die Wiederkunft Christi und das Ende der Schöpfung und suchten deswegen einen sicheren Ort in der Nähe des Bergs Ararat oder in Palästina. Andere Gründe für die Auswanderung waren die schwierige politische und wirtschaftliche Lage in Deutschland, welche die Kriege gegen Napoleon mit sich brachten. Dazu kamen die große Hungersnot 1816 und der “vulkanische Winter” in Westeuropa und Nordamerika. Laut Wissenschaftler war dieses Naturphänomen die Folge des Ausbruchs des Vulkans Tambora in Indonesien im April 1815.

Gemäß dem Manifest des Zaren Alexander I. von 1804 mussten die Siedler gute Bauern sein, sich in Weinanbau, Seidenproduktion oder Handwerk auskennen, Eigentum und Familie (Ehefrau und Kinder) haben. Die Siedler bekamen in Russland 60 Hektar (in Georgien 35 Hektar) Land und 300 Rubel Finanzierung, waren vom Militär- und Zivildienst und für 10 Jahre von den Steuern befreit, und das Wichtigste war: sie konnten ihren Glauben frei ausüben.

1817-1820 gaben 53,1 % der Siedler den Hunger und 25,1 % religiöse Motive als Grund für die Auswanderung an.

Am 21. September 1817 kamen 148 Menschen in Tiflis an. Sie gründeten die erste Siedlung Marienfeld, heute Sartitschala, ca. 37 km von Tiflis entfernt. Am linken Ufer des Flusses Mtkvari gründeten sie zwei weitere Siedlungen: Neu-Tiflis (heute Kukia) und Alexanderdorf (Didube). Schon 1819 wurde auf dem heutigen Marjanischwili Platz eine kleine hölzerne Kirche gebaut, die bald niederbrannte. Nach 1824 haben Gottesdienste in einem neuen Kirchengebäude aus Ziegelstein stattgefunden.

1843 schickten die “Separatisten” mit der Unterstützung der Regierung eine Gruppe von drei Menschen nach Palästina, um es in Erfahrung zu bringen in wie weit es möglich war, sich im Heiligen Land niederzulassen. Die Delegierten waren schnell überzeugt, dass wegen des schlechten Bodens und der ständigen Raubzüge der Beduinen das Leben dort nicht möglich war. So schlossen sich die Separatisten wieder der lutherischen Kirche an.

Am 18. September 1893 tauchte in der Zeitung Tifliser Blatt folgende Mitteilung auf: “Morgen, am 19. September wird auf dem Mikhailov Prospekt vor der evangelisch-lutherischen Kirche der Grundstein der neuen lutherischen Kirche des heiligen Peter und Paulus feierlich gelegt”


Am 21. September 1893 lesen wir in der gleichen Zeitung: “Am Sonntag, dem 19. September wurde in Tiflis der Grundstein der neuen evangelisch-lutherischen Kirche des heiligen Peter und Paulus feierlich gelegt. Die Kirche wird an der Stelle der alten lutherischen Kirche gebaut, mit der Fassade zur Mikhailovstraße hin. Heutzutage leben 2000 Lutheraner in Tiflis ohne die Bevölkerung der weit entfernt liegenden Siedlung Mushtaidi mitzuzählen. Die lokalen Lutheraner bildeten früher eine Gemeinde, später teilten sie sich aufgrund einiger Unstimmigkeiten in zwei selbständige Gemeinden auf. Einige Jahre vor diesem Datum vereinigten sich aber alle in Tiflis lebenden Lutheraner wieder zu einer unabhängigen Gemeinde. Das brachte die Notwendigkeit des Baus einer größeren Kirche mit sich, denn die alte Kirche war zu klein und konnte nicht mal ein Viertel der Gemeindeglieder aufnehmen.

Die neue Kirche wurde mit freiwilligen Spenden der Gemeindeglieder gebaut. Der Bau kostete ca. 40.000 Rubel und wurde von Staatsrat Kreslowski geleitet, der eigens 6000 Rubel spendete. Die Grundsteinlegung geschah von seiner Heiligkeit dem General-Superintendenten und dem Mitglied des Hauptkonsistoriums von Evert zusammen mit dem Oberpastor Hansen, dem Adjunkt Bermann und dem Pastor der Siedlung Marienfeld Mühlmann. Die Vertreter der Gesellschaft kamen zahlreich. Darunter wurden u. a. der Geheimstaatsrat des kaukasischen Bildungsgebiets K. P. Ianowski, der Direktor und der Staatsrat im Amt des kaukasischen Museums G. I. Radde, der Vize-Gubernator und der Staatsrat im Amt Graf Tieselhausen, der Staatsrat im Amt N. K. Seidlitz und der Staatsrat im Amt Holbeck erkannt.

In der Mauer der alten lutherischen Kirche, am linken Flügel wurde eine Grube ausgegraben, dort der Grundstein und eine Marmorplatte mit der Aufschrift “19. September 1893” gelegt.

Um 12.00 Uhr hat seine Heiligkeit General-Superintendent von Evert in deutscher Sprache gepredigt. Danach nahm er eine Papprolle und las auf Russisch folgendes vor: “Zu Zeiten seiner Obrigkeit dem Zaren Alexander III. wurde am 19. September 1893 in Anwesenheit von von Evert der Grundstein der neuen Evangelisch-Lutherischen Heiligen Peter und Paulus Kirche in Tiflis gelegt. Die Kirche soll nach dem Projekt des Akademikers und Staatsrats im Amt Siemonson und vom Architekten Bielfeld gebaut werden, finanziert mit Spenden, die der verstorbene Oberst von Herschelmann gesammelt hat und die vom Kollegialrat Kreslowski und der Gemeinde gespendet wurden”. Diese Papprolle wurde in einer Zinkröhre in den Boden versenkt und mit der Marmorplatte gedeckt. Darauf hat seine Heiligkeit den ersten Ziegelstein gelegt, nach ihm drei Pastoren und andere Ehrenpersonen.

Die Architektur der Kirche ist gotisch. Sie ist 68,3 m hoch und 12,8 m breit. Ihre Kuppel ist aus Granit, der Rest aus Ziegelstein”.

Der Bau wurde 1897 beendet. Richard Mayer wurde als erster Pastor eingesetzt. 1933 wurde die Kirche geschlossen, 1931 wurde Pastor Mayer festgenommen und 1933 erschossen. Die Kirche hat man von deutschen Kriegsgefangenen abreissen lassen. Aus den Bausteinen der Kirche wurden auf dem Marjanischwili Platz zwei große Häuser gebaut. Die alten Bewohner der Stadt nennen die Marjanischwili-Strasse bis heute mit dem alten Namen „Kirotschnaja“, d.h. Kirchenstrasse.

Der lutherische Gottesdienst wurde erst nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Gründung der Assoziation der Deutschen in Georgien 1991 wieder möglich. Am Anfang fanden die Gottesdienste in unterschiedlichen verfügbaren Räumen statt. Diese wurden von Vater und Sohn Dreiling geleitet. Nach ihrer Auswanderung nach Deutschland wurde Harry Asikov Pastor. 1993 hat sich der damalige Präsident der Einung ans Rathaus von Tiflis mit der Bitte gewandt, für den Bau der Kirche ein Grundstück zur Verfügung zu stellen. Der Bitte wurde entsprochen und aufgrund eines entsprechenden Erlasses stellte die Stadt Tiflis ein Grundstück von 5000 m² in der Terenti-Graneli-Straße zur Verfügung, dort wo sich bis 1917 der lutherische Friedhof befand.

Gemäß dem Beschluss des städtischen Gemeinderats mussten sowohl eine einmalige Gebühr bei der Übergabe als auch eine jährliche Steuer entrichtet werden. Die Assoziation der Deutschen Georgiens „Einung“ wurde von der Zahlung der ersten einmaligen Gebühr befreit, es war nur die jährliche Steuer fällig. Die Einung erhielt von Bischof Rolf Koppe einen Dankesbrief für seinen Beitrag bei der Anschaffung des Grundstücks für die Kirche.

Den Bau der evangelisch-lutherischen Versöhnungskirche hat Prof. Gert Hummel aus eigenen Mitteln finanziert. Die neue Kirche wurde 100 Jahre nach der alten Kirche des heiligen Peter und Paulus eingeweiht. Eine wichtige Rolle spielte das bei der Kirche entstandene evangelisch-lutherische diakonische Werk. Das Werk wurde 1999 von Prof. Hummel gegründet und geleitet. Nach seinem Tod übernahm seine Witwe Christiane Hummel die Leitung.

Es ist bemerkenswert, dass in der gleichen Ausgabe des Tifliser Blatts vom 1893 auch ein Artikel über die Eröffnung eines Wohltätigkeitshauses bei der evangelisch-lutherischen Kirche steht:

“In diesen Tagen wird mit Mitteln des wohltätigen Frauenausschusses der evangelisch-lutherischen Kirche des heiligen Peter und Paulus in Tiflis ein Heim für ältere Damen eröffnet. Dieser Ausschuss besteht seit ein paar Jahren und hat mit seiner Arbeit der lokalen Bevölkerung unabhängig von ihrem Glauben oder Herkunft viel Nutzen gebracht. In der gegenwärtigen Gesellschaft ist dieser Ausschuss leider nur wenig bekannt. Es muss erwähnt werden, dass die Wohltätiger ihre Dienste bescheiden führen und keine Werbung machen. Die Finanzierung sammeln sie in ihren Bekanntenkreisen, in der Peter- und Paulusgemeinde, sowie durch Vorträge und eine jährlich stattfindende Lotterie. Mit diesen Mitteln halfen sie den Bedürftigen.

Vor drei Jahren entstand im Ausschuss die Idee, ein Heim für ältere und arbeitsunfähige Damen zu bauen, in dem sie ihre letzten Jahre sorglos verbringen würden. Der lutherische Kirchenrat stellte ein Grundstück der Kirche in der Reutow-Strasse (später in Merkwiladze und Mazniaschwili umbenannt) zur Verfügung. Darauf wurde ein einstöckiges Ziegelsteinhaus mit Mezzanin gebaut. Das Altenheim hatte 6 helle und große Zimmer, eine Kantine, eine Küche und Lagerräume, außerdem ein Zimmer für die Heimaufsicht. Jedes Zimmer war für zwei Personen bestimmt. Je nach Bedarf würden sogar drei Personen genug Platz darin haben.

Das Gebäude verfügt über etwas Komfort. Anstatt der Tapeten sind die Wände mit Ölfarben angestrichen. Die Möbel, die Betten, das Bettzeug, das Geschirr und alles, was das Altenheim brauche, wurden gespendet und zum Teil mit den Mitteln des Ausschusses erworben. Die Arbeit des Frauenaussschusses wurde von Frau Hansen (die Ehefrau vom Pastor), Frau M. F. Radde, M. F. Bogutskaya, E. G. Sasemann und M. F. Holbeck verwaltet”.