Sprachen nationaler Minderheiten in Georgien
(Essay)

Um die Entwicklung der Bildung nationaler Minderheiten in der Europäischen Union besser zu gestalten, würde es sehr helfen, sich mit den entsprechenden Beispielen aus der Geschichte zu beschäftigen. Passende Beispiele sind dabei in der Geschichte des riesigen und multinationalen russischen Reichs (RI) und des sowjetischen Reichs (SI) zu finden.

Im Gegensatz zu der auf freiwilliger Basis geschaffenen Europäischen Union wurde das Russische Reich hauptsächlich durch die Eroberung benachbarter Völker geschaffen. So wurden beispielsweise die muslimischen Völker des Nordkaukasus in langen Kriegen erobert. Georgien wurde nach langen Kriegen mit seinen Nachbarn geschwächt und wandte sich mit der Bitte um den Schutz bzw. eine Schirmherrschaft an Russland. 1783 unterzeichnete der georgische König Irakli II. und die Republik Inguschetien einen “Freundschaftsvertrag” mit dem russischen Reich, den so genannten Vertrag von Georgievsk. Nach dem Vertrag verzichtete der georgische König auf eine unabhängige Außenpolitik und versprach, mit seinen Truppen auch der Republik Inguschetien zu dienen. Katharina II. bürgte ihrerseits für die Wahrung der Integrität Georgiens, der die volle interne Autonomie gewährt wurde. Die Bestimmungen des Vertrags glichen die Rechte der privilegierten georgischen Elite an die der russischen an. Gemäß dem Vertrag verpflichtete sich im Gegenzug Russland, Georgien im Kriegsfall zu verteidigen und während der Friedensverhandlungen auf die Rückgabe von Besitztümern in das Kartli-Kachetischen Königreich zu bestehen, die ihm lange Zeit gehörten (aber von der Türkei annektiert wurden). Nach dem Tod von Irakli II. im Dezember 1800 unterzeichnete Paul I. ein Manifest über die Annexion Georgiens durch Russland. Demensprechend folgte eine Russifizierung Georgiens die viele Unruhe und Aufstände verursachte.

Interessant ist auch das Schicksal der deutschen Kolonisten in Georgien. Nach dem Manifest von 1773 wurde unter günstigen Bedingungen darauf hingewiesen, dass allen, die in der Siedlung ankamen, die freie Ausübung des Glaubens zugesichert wurde. In deutschen Siedlungen gab es deutsche Schulen wo die Kinder der Siedler den Unterricht in ihrer Muttersprache bekamen. An der Dorpat (Tartu) Universität wurde ausschließlich in deutscher Sprache unterrichtet. Drei Generationen der Familie Weiss (das waren Präzisionsmechaniker, die im meteorologischen Labor von Tiflis arbeiteten), wurden in Deutschland ausgebildet. Aber nur relativ wenige konnten sich einen solchen Luxus leisten. Sergei Witte (später Graf Witte), geboren und aufgewachsen in Tiflis und Sohn eines bedeutenden Beamten und Geschäftsmanns, absolvierte die Universität Novorossiysk (Odessa). Später wurde Witte Vorsitzender des Ministerrates der Republik Inguschetien. Unter Alexander III. Begann eine verstärkte Russifizierung des Landes. Einige deutsche Schulen wurden in russische umgewandelt. Auch an der Universität von Dorpat wurden Vorlesungen ins Russische übersetzt.

Es ist interessant festzustellen, dass die Kinder von Kaiser Nikolaus II. zwar Russisch, Englisch und Französisch lernten aber kein Deutsch. Nach dem Zusammenbruch der Republik Inguschetien haben die Bolschewiki angefangen das Reich wieder (diesmal mit Gewalt) wiederherstellen. Die Kommunikation zwischen Sowjets und Ausländern war nicht vorgesehen, weshalb in der Tat nur ausländische Literatur und die gesprochene Sprache nicht studiert wurden. Tatsächlich wurden nach dem gleichen Prinzip die Sprachen der lokalen Bevölkerung an russischen Schulen gelernt. Dies wurde nun behoben.

Es ist interessant zu betrachten, wie die Sowjetregierung die Sprachen der in der SI lebenden Völker behandelt hat. Lassen Sie uns zunächst die Aktivitäten des inzwischen nur den Experten bekannten Wissenschaftlers, Linguist, Akademiker der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Nikolai Marr, betrachten. Dieser war georgischer Herkunft, trug aber den Nachnamen seines Adoptivvaters. Er absolvierte die Universität St. Petersburg, leistete einen großen Beitrag zum Studium der georgisch-armenischen Philologie und galt als eine der führenden sowjetischen Autoritäten in der Linguistik. Er brachte die Idee hervor, dass die Gesamtheit aller Sprachen als ein sich nach oben verjüngender Kegel zu betrachten ist. D.h. dass die Anzahl der Sprachen im Verlauf der Zeit nach seiner Meinung abnehmen wird. 1950 wurde jedoch J. Stalins Buch “Marxismus und Fragen der Linguistik” veröffentlicht, in dem dieser Kegel umgedreht wurde, und es wurde argumentiert, dass die Anzahl der Sprachen mit der Zeit zunehmen wird. Letzteres war allerdings eine eher populistische Aussage. Es ist anzumerken, dass offenbar aufgrund der Aufmerksamkeit für dieses Thema in Georgien eine ziemlich starke Bildung im Bereich von Sprachen entstand. Georgische Linguisten haben z.B. einen großen Beitrag zum Studium der zahlreichen Sprachen der nordkaukasischen Völker geleistet. Übrigens gab es in Tiflis ein sehr angesehenes deutsches Gymnasium, in dem viele Vertreter der georgischen Intellektuellen bzw. Kulturschaffenden studierten. Diese Schule wurde 1937 geschlossen.

In Georgien und vor allem in Tiflis waren russische Schulen lange Zeit unter sowjetischer Herrschaft angesehen, in denen Kinder aus georgischen, armenischen und anderen russischsprachigen Familien ungefähr gleichermaßen vertreten waren. Hier lassen sich offenbar zwei Hauptgründe unterscheiden: Erstens gab es Traditionen der Vorgängerregierung und entsprechend ein höheres Niveau, und zweitens ermöglichten sie es, ihre Ausbildung an renommierten Universitäten in Russland fortzusetzen und dann einen Arbeitsplatz in verschiedenen Städten der Sowjetunion zu finden. Die Büroarbeit in vielen Institutionen in Georgien war auf russische Sprache umgestellt. In SI galt Russisch gemäß der 1936 verabschiedeten Verfassung, die rein deklarativ war, als Amtssprache im ganzen Land, aber jede Republik hatte ihre eigene Sprache. Offensichtlich war einer der Hauptgründe für die Annahme der neuen Verfassung der UdSSR im Jahr 1978 der Kampf gegen den wachsenden Nationalismus in den Republiken. Nach der neuen Verfassung hat sich in der UdSSR “eine neue historische Volksgemeinschaft gebildet – das sowjetische Volk”. Daher wurde Russisch im Verfassungsentwurf zu der einzigen Staatssprache im ganzen Land erklärt. Dies verursachte den größten Protest in Georgien, einem Land mit einer langen Geschichte und Kultur. Die Unruhen erreichten ein solches Ausmaß, dass militärische Truppen nach Tiflis gebracht wurden. Die Behörden machten daraufhin Zugeständnisse und die Sprachen der Völker der Republiken wurden ebenfalls als Amtssprachen in die Verfassungen der Unionsrepubliken aufgenommen. In der Sowjetzeit gab es auf dem Territorium Georgiens armenische, aserbaidschanische und ossetische Schulen, die heute kein Lehrpersonal mehr haben. Die entsprechenden Fakultäten an den Universitäten des Landes existieren nicht mehr.

Als ein sehr positives Beispiel der Unterstützung der Sprachen von nationalen Minderheiten ist hingegen im deutsch-dänischen Grenzgebiet zu finden. Nach dem Abschluss einer zweisprachigen Schule können die Schüler dort ihre Ausbildung sowohl in Deutschland als auch in Dänemark fortsetzen. Bemerkenswert ist auch der insgesamt auf deutsche Sprache orientiertes Bildungskomplex in der Stadt Pecs in Ungarn. Es bietet zweisprachigen Unterricht in Deutsch und Ungarisch vom Kindergarten bis zur Hochschulbildung. Für ein kleines Land wie Georgien scheint es die akzeptabelste Option zu sein, zweisprachig in georgischen Schulen zu unterrichten, z.B. die Sprache der eigenen nationalen Minderheit als zweite Sprache zu wählen, sowie zumindest eine Auswahl an Fächern in Minderheitensprachen zu unterrichten. Derartige Maßnahmen können nationalen Minderheiten ermöglichen, ihre Sprache zu bewahren und gleichzeitig in die Gesellschaft integriert zu werden.

Dr. Harry Augst